„Ansichtskarten“
Motivkarten als Wegweiser
Es war das Absurdum was mich letztlich an den Motivkarten dieser City-Card-Kultur faszinierte. Kunst und Kommerz, Werbung und Kulturevents Seite an Seite. Die einen bedienen sich den Mitteln und der Wirkung des anderen. So absurd pauschal diese Aussage klingen mag; sie beschreibt eine Wahrnehmung, die sich nur aus meinen Gedankengängen erklärt. Natürlich sind es höchst komplexe Mechanismen, warum sich Infokarten einer Institution neben der zum Konsum einladenden Markenwerbung behaupten (müssen).
Aber in ihrer Allgegenwärtigkeit fordern die Kulturlandschaften das was im Zeitalter der Bilderkultur das Wertvollste ist: eine unmittelbare Aufmerksamkeit. Wenn man als Produzent von Bildkultur in Cafés gesessen und diesen schreienden Bildarchiven seine kunst- und medienkritische Aufmerksamkeit schenkt, fühlt man sich nicht nur als Konsument angesprochen. Ich habe die Bildträger künstlerisch und fachlich gedeutet. Das nennt man wohl eine Berufskrankheit, wie sie jeder kennt, der seine Identität positioniert und reflektiert.
Wenn man meine Herangehensweise an den Rohstoff Motivkarten betrachtet, scheint ein theoretischer Hintergrund formal weit entfernt. Anfangs noch habe ich verschiedene Anliegen der Werbeträger kompensiert und nicht konsumiert, habe ihnen einen (kunst-) kritischen Kommentar aufgesetzt oder sie karikiert. Für mich war dieser Akt eine Art unmittelbares Antwortschreiben oder Folgebild, nach Manier eines sog. Tags, wie es die Sprayer an Werbetafeln hinterließen.
Doch war es eben nicht die medienkritische Haltung, die mich veranlasste, mich auf Werbe-Motiven auszudrücken. Es gibt hier einen interessanten Unterschied zwischen der medienkritischen Reflexion eines Konzeptkünstlers und der unmittelbaren Reaktion eines expressiv-handwerklichen Künstlers. Assoziative Kommentare könnten jedermann ebenso in Gedanken versunken, immer mal passieren. Werbekarten, Motivkarten, Infokarten in ihrer Masse den Reiz ihres Anliegens. Denn selbst die medienkritische Kunst in der Öffentlichkeit fand ihre Huldigung im Kunstraum und wurde mittlerweile auch von der Werbewelt adaptiert. Guerillawerbung, gestreute Medienskandale sind heute Fachbegriffe und als Verkaufsförderung legitim.
In der intellektuellen Kunstszene gibt es einen Begriff für die allgegenwärtige Macht der Bilder: Iconic Turn. Die Deutung des Bildes ist gekoppelt an die Funktion der Kommunikation, aber nicht allein weil das in der Natur der Betrachtung liegt. Kunst und Medien bilden den kompetenten Bilddeuter und sein fein trendnuanciertes, zielgruppendifferenziertes (Bild-) Vokabular. So wie der moderne Kunstinterpret Bilder mit eindeutigen Symbolen, Funktionen und Sinnbildlichkeiten belegt, so psyco-logisiert der Stratege und ordnet sie Glaubensgegenständen und Events zu.
Ich würde also behaupten, dass eine derart eindeutige Bildbelegung und Funktionszuordnung einer strengen Glaubensauslegung entspricht. So fühle ich mich den Karten, salopp gesagt, ebenso zur Andacht verpflichtet wie ein Geistlicher den Reliquien seiner religiösen Gemeinde. Auf den modernen CityCards, ich nenne sie Ikonen einer Glaubensgemeinde, sind Kunst und Medien, sind Generationen und Institutionen auf Motive ihrer Selbstdefinition verdichtet. In den CityCards Regalen, dem praktischen Inventar der Kulturszene moderner Grosstädte entdeckte ich eines Tages mein Sinnbild der Moderne.
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Nach 3 Jahren Medienkunst und des Studiums der Theorien über die graue Substanz der Kunst verfiel ich gewissermaßen plötzlich einem manischen Bilderrausch. Meine City Card Sammlung war über Schenkungen und Erbe auf eine beträchtliche Masse angewachsen, und Motive waren in hülle und Fülle vorhanden. Ich begann sie als Bilderpool, nicht als Werbeträger zu deuten, ich fing an sie grafisch, nicht kritisch zu behandeln. Eine derartige Bildergesellschaft, die es sich leisten kann Wegwerfmotive in Hochglanz zu drucken wollte künstlerisch interpretiert werden.
Formal gesehen ist diese Arbeitsweise schwer einem künstlerischen Genre zuzuordnen. Einerseits wirkt sie aufgrund ihrer sprichwörtlichen Überzeichnung ästhetisch, Sie ist im klassischen Sinn ein Original im Sinne von handgemacht. Man kann sie also noch grafischen Raffinessen, Stilistik und Motiven deuten. Die Beschaffenheit ihres Rohstoffes, wie eben die Materialeigenheiten der Pappkarten spiegelt sich in der Vielfalt der Bearbeitung.